Dienstag, 26. Juni 2018

Die Vorbereitung

Nun ist es soweit.

Nachdem Hossein und ich vor zwei Jahren 1800 km bis zum Mittelmeer nach St. Marie de la mer absolviert haben und noch heute von Zeit zu Zeit von der Tour zehren, entwickelte sich in den Geprächen, der Wunsch nach einer Fortsetzung des Erlebten. 
Ein wirkliches Phänomen des Radreisens ist ja, dass mensch selbst nach dem härtesten Tag unmittelbar nach der Durchfahrt der Zielgeraden und dem ersten Bier in der Hand, die enorme Endorphinenausschüttung alle Strapazen vergessen macht.
Und nach ein paar Monaten, nach dem vollständigen Abklingen der diversen Blessuren, der Wiederkehr des Gefühls in den kleinen Fingern, nur noch verklärt romantische Erinnerungen zurückbleiben und somit der Wunsch nach Wiederholung aufkommt.
Es stand immer noch der Nordseeradweg zur Disposition, ca. 6000 km rund um unser Meer.
Allerdings geht der Weg über lange Strecken durch die skandinavischen Länder und insbesondere Norwegen. 
Wer schon einmal dort war, der weiß, dass diese menschenleere, wildromantische Landschaft mit den atemberaubenden Panoramen und gewaltigen Steigungen in Wirklichkeit nur mit einem gehörigen Vorrat an Hochprozentigem zu ertragen ist. Leider ist die Zuladung bei einem Fahrrad in dieser Hinsicht ziemlich eingeschränkt. Auch das kulinarische Angebot, das lediglich einen kleinen Tunnel zwischen Aal flat rökt und glibberigen Fiskeboller bietet, steigert nicht die Motivation, diesen Radweg zu befahren. Böse Zungen behaupten sogar, dass die leeren Fiskebollerdosen  nicht  in die freie Natur entsorgt werden dürfen, weil sonst nachts die Elche wegen des dieser Dosen entströmenden Geruchs erbrechen müssten, irrtümlicherweise wird das von den Touristen als Brunftröhren verklärt.
Ein Blick auf die Niederschlagskarte für Norwegen ließ die Würfel endgültig in Richtung Südwesteuropa fallen.
Da wir vor zwei Jahren auf unserem Weg zum Mittelmeer kulinarisch und wettermäßig (allerdings erst ab Freiburg) nur gute Erfahrungen machten, lag es nahe, dieses Land auf einer anderen Route noch einmal zu bereisen.
Bei jeder Radreise stellt sich die Frage, wie kommen wir zurück. Lange schiebt mensch die Lösung des Problems vor sich her in der Hoffnung, irgendwie wird sich das schon finden, vielleicht lernen wir jemanden kennen, der uns mitnimmt oder es gibt doch einen fahrradaffinen Gott,  so ähnlich naiv sind die Gedanken. 
In Wirklichkeit passiert so etwas wahrscheinlich seltener, als der 6er im Lotto. So kämpften wir uns dann vor zwei Jahren vom Mittelmeer mit Bus, Zug und Fahrrad und diversen Übernachtungen bis Deutschland durch. Bis Aurich hätten wir es wohl kaum geschafft, wenn uns nicht Christiane aus Bad Kissingen abgeholt hätte.

Eine kluge Radreisende aus der Frühschwimmergruppe der Baalje brachte uns dann mit dem Hinweis von Süd nach Nord mit Rückenwind, auf die Idee, die Tour andersherum zu fahren und  in Bordeaux zu starten. Bordeaux deshalb, weil es möglich ist, von Hamburg mit dem Fahrrad in grandiosen zwei Stunden dorthin zu fliegen.
Die Kosten für beide Räder betragen gerade einmal 100,00 Euro und liegen damit nicht über den Kosten für die Rückreise  vor zwei Jahren. Die Räder gelten als Sport- und Sondergepäck und jedes kann ein Gewicht von 32 kg besitzen. 
Bis auf das nervige Verpacken der Räder, der Demontage der Pedalen und Längsstellung des Lenkers ist somit die Fahrt zu unserem Ausgangspunkt wesentlich entspannter.
Danke Christiane, dass Du uns zum Flughafen bringst.







Pro Person kommen wir bei Easyjet mit gebuchtem Platz, 23 kg Übergewicht und den Fahrrädern auf runde 180,00 EURO.

Die Route war schnell festgelegt:

Bordeaux,
Le Gurp Municipal. Der Kultcampingplatz auf dem diverse Auricher Kinder ihre Urlaube vebracht haben. Dort holen wir Manni ab, der dort schon mit Ilse und dem Bulli Donnerstag angekommen ist. Austernschlürfen auf dem Markt in Montalivet.
Dann durch die Bretagne Richtung Le Mont St. Michelle, Käse, Fisch, Wein, weiter Richtung Normandie Bayeux, Le Havre, Dunkerque Wein, Fisch, Käse, Brügge Bier, Amsterdam, Groningen Pommes, Backfisch und dann endlich Bagband, wo unser sebstgebrautes Bier in Fässern auf uns wartet.

Laut Routenplaner KOMOOT liegen wir bei ca. 2000 km. Wir haben dafür maximal 4 Wochen Zeit.

Manni hat sein Fahrrad  schon vor Tagen verpackt und es lässt sich komfortabel mit dem VW- Bulli von einem Stau zum nächsten bis Montalivet schaukeln.


Nach einer Nachricht von Manni sind es in Bordeaux 34 Grad im Schatten. Da können wir mithalten. Samstagnachmittag hatten wir 29,5 Grad auf der Terrasse. Wir sind also entsprechend vorbereitet. Leider meldet der Wetterbericht starke Gewitter, wenn wir in Bordeaux landen.

Vor vielen Jahren bei einem Zelturlaub ging hier in Montalivet nach einer ausgiebigen Verkostung diverser lokaler Weine auf wundersamer Weise mein Fahrrad verloren. Ich habe es trotz intensiver Suche nicht wiedergefunden. Nun ist es wieder aufgetaucht und ich schwöre, ich werde jede einzelne Auster  genüsslich schlürfen.











Montag, 25. Juni 2018

Prolog


Jeder von uns Dreien hat einen eigenen familiären und kulturellen Hintergrund, der das persönliche Verhältnis zum Radfahren bestimmt. Ob im heißen persischen  Kerman, im provinziellen Oldenburgischen Ofen oder im spießigen Bremen-Blumenthal aufgewachsen, allen gemeinsam ist aber wohl, dass sich irgendwann in unserem  Leben das Fahrrad  vom Spielzeug zum Fortbewegungsmittel entwickelt hat und mit den damit verbundenen Möglichkeiten enorm zur Persönlichkeitsentwicklung beitrug und so wie wir es nutzen, noch beiträgt.

Stellvertretend für uns, hier meine Geschichte:

Als ich Kind war, betete ich abends zu Gott, er möge mir ein rotes Fahrrad mit Stützrädern schenken. Irgendwann kapierte ich, dass Gott so nicht arbeitet.

Mein Vater brachte dann auf dem Heimweg ein ziemlich ramponiertes Kinderfahrrad mit, über dessen Zustand ich meine Enttäuschung nur schlecht verbergen konnte.
Nun waren meine Eltern als Mitglieder der Angriffskriegsgeneration und den damit für uns Kindern verbundenen katastrophalen ökonomischen Folgen darin sehr geübt, alten Sachen durch einige Kunstgriffe wieder den Anschein des Neuen zu geben, zumindest in den Augen eines 5 jährigen Jungen. 
Eine kleine Dose knallroten Lacks, einige Tropfen Öl und die in der Waschküche von meiner Mutter geschrubbten weißen Ballonreifen ließen vor meinen Augen ein akzeptables Fahrrad entstehen. Die zusätzliche Montage einer Klingel von einem Erwachsenenfahrrad überzeugte mich vollständig. Sie stammte wohl noch aus dem 1. Weltkriegsfundus meines Großvaters und so verrostet wie sie war, konnte ich ihr mit meinen kleinen Fingern keinen Ton entlocken. Aber egal, schon in diesem Alter war Design eben alles
Seitdem ich das fahrbereite Fahrrad mit der Aufgeregtheit des Abenteurers zum Pappelplatz und zu den anderen Kindern schob, hielt ich mich statt an Gott an meinen Vater.
Weshalb wir keine langen Hosen beim Radfahren lernen anziehen durften, habe ich erst später  begriffen. Die den ganzen Nachmittag mehr oder minder geglückten Versuche des Radfahrens wurden nur durch die medizinische Versorgung der Schürfwunden an Knien und Ellbogen mit schnödem Pflaster ohne Aufdrucke von Dinos oder Elfen unterbrochen. Bei der Anzahl von Stürzen hätten wir dutzende langer Hosen durchgearbeitet und Ressourcen waren damals noch knapp. Irgendwann trauten wir uns nicht mehr nach Hause, aus Furcht, dass uns unsere Mütter angesichts der diversen Hautabschürfungen nicht mehr losfahren ließen. Nur das aufkommende Hungergefühl unterbrach dann das  Radfahren und wurde  mit verdünntem Rhabarbersaft und dick mit Margarine und Zucker belegten Weißbrotscheiben gestillt.
So vollgepumpt mit Energie lernte ich mit dem enorm motivierenden Ziel der Schmerzvermeidung innerhalb weniger Tage ohne Stützräder, Helm und Protektoren Rad fahren.
Irgendwann zog auch bei uns der Zweitaktverbrennungsmotor  ein. Mein Bruder hatte sich eine Kreidler mit verchromtem Tank zugelegt und schenkte mir großzügig sein mit Nabenputzern, zweifarbigen Plastikspiralen umwickelten Bremszügen und einer am Gepäckträger befestigten Stange mit Wimpel (Werder?) aufgepuschtes Fahrrad. Aber das Beste daran war der nach oben gedrehte Rennlenker, der es so wohltuend von den spießigen Erwachsenenrädern abhob und dem Fahrrad eine ausgesprochene Lässigkeit gab. Solche infantilen Adjektive wie geil oder voll cool waren noch unbekannt, würden aber die Wirkung des Rades auf mich aus heutiger Sicht treffend beschreiben. Ich fand es einfach nur klasse.
Mein Körper und dieses Fahrrad durchliefen dann eine gemeinsame Metamorphose. Mit zunehmender Haarlänge und Körpergröße wurde die Sattelstütze höher gestellt, die peinliche Wimpelstange irgendwann demontiert, der Rennlenker  wieder in seine ursprüngliche Position gebracht und neben der neuen Torpedo-Dreigangnabe wurde ein VDO Tacho mit Welle und Mitnehmer in das Vorderrad eingebaut.
Mit dieser technischen Veränderung unterstützte dann das Fahrrad meinen zunehmenden Drang nach Autonomie und diente nicht länger nur der Bewältigung des 5 km langen Schulweges zum Gymnasium nach Vegesack.
Die erste ernstzunehmende Radtour verlief mit der evangelischen Jungenschar vom Zeltlager auf Fehmarn nach Bad Segeberg zu den Karl-May-Festspielen und wenn ich heute die wenigen vorhandenen schwarzweiß Fotos betrachte, ist mir immer noch nicht ganz klar, wie ich als schmächtiger 12jähriger diesen Berg an gewichtigem Gepäck, den Steppdeckenschlafsack eingerollt in eine gummierte Luftmatratze, die hundert Kilometer bewältigen konnte.
So wurde das Fahrrad vor dem Moped zu einem wichtigen Utensil, der häuslichen Enge zu entfliehen und den Horizont zu erweitern. Ziele und Strecken wurden größer und mit ihnen die Freude aber auch die Hürden, die zu nehmen waren. Gegenwind, Wolkenbrüche, Konditionsschwächen aber auch Durchhaltevermögen und Gruppendynamik. 
Im Nachhinein betrachtet lernte ich damals etwas Grundlegendes, dass nämlich in Wirklichkeit der Wille das Ziel zu erreichen erst den Weg bestimmt und nicht umgekehrt, wie es dann später auf vielen esoterischen Kalenderblättern zu lesen war. Nur der Aufbruch schafft den Weg, aber als Radfahrer weiß ich natürlich, dass, wenn man erst einmal in die Pedalen gestiegen ist, der Weg eine entscheidende Rolle spielt. Insofern ist es wohl so, wie bei der Henne und dem Ei.

Mit dem Erwerb des Mopedführerscheins Klasse 4 und eines weißen 50kubik Zündapprollers war das Fahrrad nicht mehr angesagt. Später kam das Auto und mit ihm noch weiter entfernte Urlaubsziele. Mit dem R4  durch ganz Europa. Aus heutiger Sicht fast so anstrengend wie mit einem modernen Fahrrad. Das Fahrrad verlor als Fortbewegungsmittel seine Funktion und wurde ein rostiges Gefährt in den Kellern der Wohngemeinschaften oder der elterlichen Garage.

50 Jahre später hat das Fahrrad das mit Imageproblemen kämpfende Auto als Statussymbol um Längen überholt. Der Wert jedes einzelnen unserer heutigen Räder übersteigt auch Dank  der kriminellen Energie des VW/Audi-Vorstandes den Wert zumindest meines alten AUDI Diesels EURO4 um etliche hundert Euro.
Unsere Räder müssen jetzt zwar auch alle 5.000 km zum Ölwechsel der 14 Gang Rholoffnabe, haben eine USB-Schnittstelle, Riemenantrieb statt Kette und statt Landkarte eine Satellitennavigation und reparieren kann man es auch nicht mehr selbst. Dafür kommen wir aber auch zukünftig in die letzte Ecke jeder mit Feinstaub und Stickoxiden belasteten Großstadt und können sogar noch ausreichend tanken.🍺🍺🍺🍺
   
Nur, wo du zu Fuß, mit dem Kajak oder dem Fahrrad warst........, na gut, vielleicht noch mit dem Moped, dem R4, der Ente oder dem Bulli........... da warst du wirklich.

Diese Philosophie liegt unserer Fahrradreise  zugrunde.





















The last waltz

Nachtrag zum gestrigen Tag. Gestern hatten wir den ersten ernstzunehmenden Unfall. Manni ist bei einer Wende und eigentlich schon steh...