Dienstag, 24. Juli 2018

Jann, der Engel mit dem eisgekühlten Bier

Allah, Gott oder wie sie auch alle heißen, die für diesen Irrsinn auf Erden verantwortlich sind, schicken doch manchmal einen Engel zu den Menschen. Je nach Inhalt des jeweilig erwählten Aberglaubens kann dieser Engel in unterschiedlicher Gestalt erscheinen. Für uns war es Jann, der etwas abgerissene Mann aus Harlingen, genauso verschwitzt und ungewaschen wie wir, aber mit weniger Zähnen im Mund. Aber dazu später.

Für uns bricht nun langsam das Ende unserer Radtour an. 2000 km unterschiedlichster geologischer Formationen mit insgesamt 9500 Höhenmetern liegen nun schon hinter uns und seit Tagen bewegen wir uns auf Meereshöhe in Holland.
Wegen der Hitze und der leichten Aufregung über das, was uns eventuell auf dem Abschlussdeich erwartet, sind wir im Morgengrauen gestartet und fuhren  zur Fähre über den Noordseekanaal  nach Bewerwijk. Die Fähre ist kostenlos und ausschließlich für Radfahrer und Fußgänger. Viele Menschen waren auf dem Weg zur Arbeit. Am gegenüberliegenden Ufer gibt es eine Menge Raffinerien und Industrieanlagen. Jürgen sang das Lied von Bruce Springsteen Factorylife und wir waren beim Anblick dieser offensichtlich hart arbeitenden Menschen erleichtert , nicht mehr in die Tretmühle der Arbeit zu müssen. Rentner zu sein ist wirklich ein enormes Privileg. Muss man sich immer wieder vergegenwärtigen.



Bruce Springsteen



In Alkmaar bogen wir nordöstlich quer durchs Land ab. In Holland kein Problem, weil alle Orte durch gut ausgebaute Radwege miteinander verbunden sind. Wir durchfuhren Ortschaften, die wie Puppenstuben, gefertigt in der Weihnachtswichtelwerkstatt, aussahen. Ohne Kitsch, gefühlt authentisch, toll erhalten und unglaublich gemütlich. Jedes Haus hatte seinen eigenen Charakter. Zu den vorher durchfahrenden Industrievierteln ein erholsamer Kontrast, so dass fast der Glaube entstand, hier sei die Welt noch in Ordnung. Fischreiher und Schwäne mit Jungen in den Vorgärten und selbst die auch hier anzutreffenden Maisfelder waren mit mehreren Metern breiten Wildblumenbeeten für Insekten umgeben. Durch Brückenarbeiten unterbrochene Radwege sind kurzerhand durch kostenlose Fähren, die den nur 15 Meter breiten Kanal für Radfahrer queren, ersetzt. Das stelle man sich mal am Ems- Jade Kanal vor, wo seit Jahren die Fahrradbrücke nach Schirum geschlossen ist.







Unterwegs traf Manni noch auf den ausgemusterten Jaguar von Yoko Ono  u John Lennon.

Und die ersten Wohnschiffe mit üppigen Vorgärten.


In Medemblijk waren wir dann am Ijsselmeer und immer noch 20 km vor dem Abschlussdeich. Wir hatten zwar südlichen Wind von achtern und noch einen strahlend blauen Himmel, aber eine Gewitterzelle saß uns im Nacken und verleitete uns, auf der unglaublich langen und schnurrgeraden Strecke von 20 km so richtig in die Pedalen zu steigen.
Der mit Spannung erwartete Abschlussdeich mit fast 30 km Länge war eher ernüchternd. Es war wie ein Radweg an der Autobahn, lediglich mit besserer Aussicht. Hitze und Autolärm ließen die Stimmung auf den Nullpunkt sinken und mit 110 km hatten wir unser Tageslimit schon überschritten. 


Manni auf dem Abschlussdeich, hat nicht nur an Erfahrungen, sondern auch an Muskeln gewonnen.


Ein Wort ergibt das andere und irgendwie kommt man aus der danach folgenden  Sprachlosigkeit nicht raus.
Wir mussten noch 10 km zum nächsten Campingplatz nach Harlingen und arbeiteten uns auf dem Radweg auf der Deichkrohne hoch. Der Teerweg war gerade wegen der geschmolzenen Oberfläche neu bekiest worden. Trinkwasser war am Ende und oben auf der Krohne ging nichts mehr. 
Von der Seeseite arbeitete sich ebenfalls ein Radfahrer mit Packtaschen nach oben und begrüßte uns, als wenn er uns erwartet hätte. Aus seiner Packtasche zauberte eine gekühlte Bierdose und auf die eher rhetorische  Frage, ob er auch eine für uns hätte, kam die lakonische Antwort, " aber klar doch" und zauberte drei weitere Dosen EISGEKÜHLT aus seinen Taschen. Nach ein paar Sätzen war klar, dass auch er zu gut für diese Welt und an ihr gescheitert war und ein paar Leute zum Quatschen brauchte, aber für uns kam er und das Bier zur rechten Zeit. Manni umarmte Jann beherzt, besser isses, man weiß ja nie...........

Danach lief wieder alles easy.  Wir genossen noch einmal den letzten Blick über die niederländische Nordsee. In Harlingen endet unser Radweg am Atlantik. Morgen werden wir Richtung Groningen abbiegen. Vorbei ist vorbei.(Falco)


Camping de Seehoeve, 50,00 EURO, gepflegter Campingplatz mit Zugang zum Meer, wenn es denn da ist, gleich überm Deich.
Hossein zauberte aus halbfertigen Grundstoffen aus dem örtlichen Aldi durch die Zugabe von japanischer Sojasauce  eine essbare Hähnchenpfanne mit Reis. Selbst der  Rosè war trinkbar, selbstverständlich gekühlt im Gästekühlschrank des Campingplatzes.  

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